Vom Maßband zur Meinung: Bei der Zusammenarbeit über Fehmarn geht es nicht nur um Infrastruktur
Sie stehen da, mit Maßband und Skizzenblock. Deutsche Architektur-Studenten gehen durch die Markthalle im dänischen Nykøbing Falster, messen Feuchtigkeit in den Wänden, analysieren Fenster, Säulen und die historischen Details der Fassade. Gemeinsam mit dänischen Beratern und kommunalen Planern entwickeln die jungen Menschen Ideen, die das alte Hafengebäude zu neuem Leben erwecken können.
Die Markthalle ist nur einer von mehreren konkreten Cases in dem EU-geförderten Projekt Fehmarn Belt Innovation (FBI), das für Studenten, Unternehmen, Kommunen und andere Akteure Rahmen für eine Zusammenarbeit in Bezug auf reale Cases und Produkte schafft, wie z. B. die Umgestaltung eines Hafengebäudes, Entwicklung nachhaltiger Lösungen und Testen neuer Unternehmensideen. Das Ziel ist grenzübergreifender Wissensaustausch, Stärkung von Beziehungen sowie für die Nutzung der festen Verbindung über den Fehmarn Belt gerüstet zu sein, wenn diese fertiggestellt ist.
Weshalb die FBI-Zusammenarbeit wichtig ist
Durch die neue Verbindung werden Deutschland und Dänemark physisch noch enger verbunden sein. Aber durch einen Tunnel allein entstehen keine Beziehungen, Verständnis oder Zusammenarbeit. Daher trägt das FBI-Projekt seit 2023 durch konkrete Aktivitäten zur Stärkung des grenzübergreifenden menschlichen und fachlichen Zusammenspiels bei.
„Es ist wichtig, dass wir uns darauf vorbereiten, die Verbindung für mehr als nur den Transport zu nutzen“ erklärt Morten Pristed, FBI-Projektleiter im Erhvervshuset Sjælland. „Wir werden Beziehungen fördern und voneinander lernen, um den Zusammenhalt in unserer Region in Bezug auf Nachhaltigkeit, Wirtschaft, Kultur und Umwelt zu stärken.“
FBI ist ein Netzwerk und Innovationsprojekt, das den Rahmen dafür schafft, dass deutsche und dänische Akteure innerhalb der drei Sektoren Baugewerbe, maritimer/mariner Bereich und Biotechnologie zusammenarbeiten, wobei Test-Cases, innovative Ideen und Netzwerke entwickelt werden.
Eines von vielen Beispielen: Die Markthalle als gemeinsames Testfeld
Ein gutes Beispiel ist die Markthalle in Nykøbing. Hier hat FBI ca. 100 deutsche Architekturstudenten von der Technischen Hochschule in Lübeck und dänische Beratende und kommunale Planer zusammengeführt. Durch fachübergreifende Workshops und Gebäudestudien wurden Ideen entwickelt, wie das historische Gebäude wiederbelebt werden kann – mit Respekt für sein architektonisches Erbe und seine lokale Bedeutung.
Für die Studenten bedeutet dies praktische Erfahrungen in einem dänischen Kontext. Sie erhalten die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in der Praxis zu testen und ihren Horizont zu erweitern: Wie löst man Aufgaben in einem anderen Land? Welche Methoden und Prioritäten prägen die dänische Baukultur? Gleichzeitig erhalten die dänischen Akteure neue Sichtweisen und Input durch die zukünftigen Architekten.
„Sollte es Leute geben, die dasitzen und denken: ‚Kann die Aufgabe nicht einfach durch das Hin- und Hersenden von Powerpointpräsentationen gelöst werden?‘ dann ist die Antwort ‚Nein‘. Der fachliche Nutzen ist zwar wichtig, aber nachhaltiges Lernen entsteht erst durch menschliches Miteinander,“ erklärt Anton Brodmann von der Technischen Hochschule Lübeck. „Unsere Studenten erhalten einen Einblick in dänische Kontexte und Bauweisen, lernen jedoch auch, in einem internationalen und fachübergreifenden Umfeld zusammenzuarbeiten.“
Indem beide Seiten voneinander lernen, können sie sich auch weiterentwickeln. Und genau auf diese Art baut FBI schon vor Eröffnung der Verbindung Brücken zwischen Menschen, Wissen und Möglichkeiten.
Die Belt-Verbindung: Potenzial, Konkurrenz und Perspektive
Der zukünftige Tunnel unter dem Fehmarnbelt verbindet nicht nur Länder, sondern auch Märkte. Trotzdem handeln Unternehmen auf Seeland wesentlich weniger mit Deutschland als die Kollegen in Nordjütland. Das findet FBI schade, denn die Möglichkeiten sind groß.
„Deutschland ist ein komplexer Markt, und das erfordert Vorbereitung. Investiert man keine Zeit, um das zu verstehen, wird man wohl nie richtig gerüstet sein,“ betont Morten Pristed.
Mehrere Unternehmen auf Seeland sagen, dass sie keine konkreten Pläne in Bezug auf Export oder Niederlassungen in Deutschland haben. FBI fordert diesen Gedanken heraus. Denn der Tunnel führt nicht nur in die eine Richtung: er erleichtert nicht nur dänischen Export. Exportweltmeister Deutschland wird auch leichteren Zugang nach Dänemark haben, sowohl mit Produkten und Arbeitskräften als auch in Bezug auf Konkurrenz.
Der Projektleiter führt weiter aus: „Man denkt vielleicht, dass die eigenen Produkte die besten der Welt sind. Und vielleicht ist das auch so. Aber was denken andere?“
Daher ist es entscheidend, sowohl seine Konkurrenten als auch seine Möglichkeiten zu kennen. FBI hilft Unternehmen dabei sich vorzubereiten, z. B. durch den Einsatz deutscher Studenten beim Evaluieren dänischer Produkte. Selbstverständlich kostet das etwas Zeit, bringt jedoch wertvolles Feedback und ein ehrliches Spiegelbild: Wie werden Ideen und Lösungen in einer anderen Kultur aufgefasst? Wie arbeitet man in Deutschland, und wie denkt man dort über Nachhaltigkeit, Funktion und Preise? Und umgekehrt können deutsche Unternehmen selbstverständlich auch sehr viel darüber lernen, wie dänische Akteure über Innovationen denken und diese entwickeln und vermarkten.
Matchmaking als Methode zur Zusammenarbeit
Laut Christiane Paaske-Sørensen, Innovationsmitarbeiterin bei Business Lolland-Falster, einem Partner im FBI-Projekt, besteht der Wert des Projekts auch darin, erste Schritte zu ermöglichen. „Viele Betriebe haben ein bestimmtes Bild davon, wie die Deutschen sind, und das hält sie von einer Kontaktaufnahme ab,“ berichtet sie. „Wir machen es nun greifbar. Manchmal muss man einfach nur da sein, wenn der Dialog beginnt.“
FBI arbeitet mit Matchmaking zwischen Unternehmen und Studenten, wobei Beziehungen auf Basis von Bedarf und Ideen entstehen. Es geht darum, einen fruchtbaren Ausgangspunkt für Lösungen und Innovationsprozesse zu schaffen, in denen sich beide Teile wiedererkennen können. Zu Beginn des Projekts wird eine Übersicht über Cluster und Netzwerke in beiden Ländern erstellt, so dass relevante Akteure auf einfache Weise zusammengeführt werden und gemeinsam Dinge entwickeln können.
Die EU-Förderung ermöglicht Ideen
Fehmarn Belt Innovation setzt grenzübergreifend auf konkrete Meetings, gemeinsames Lernen und Entwicklung. Jedoch wäre das Projekt ohne die EU-Förderung niemals in die Tat umgesetzt worden.
„Es geht ja nicht darum, das Ei des Kolumbus zu erfinden, sondern dass es jemanden gibt, der die Initiative ergreift und Rahmen schafft. Und das hätten wir ohne Interreg nicht machen können,“ berichtet Morten Pristed. „Es ist ja mit Kosten verbunden, dass Studenten und Lehrkräfte über die Grenze hierhin kommen. Für die Studenten ist das alles kostenlos, und es ist für sie ein fantastisches Erlebnis.“
Das Projekt erhält ca. 1,4 Mio. Euro von Interreg Deutschland-Danmark und der Europäischen Union. Zum FBI Partnerkreis zählen Technikzentrum Lübeck, Kieler Wirtschaftsförderungs- und Strukturentwicklungsgesellschaft, Wirtschaftsförderung Lübeck und Technische Hochschule Lübeck auf deutscher Seite sowie Erhvervshus Sjælland, Roskilde Universitet, Knowledge Hub Zealand, Business Lolland-Falster und Zealand Sjællands Erhvervsakademi auf dänischer Seite. Eine Win-Win-Situation getragen von Neugier und realem Willen zur Zusammenarbeit.
